Die heilsame Erfahrung der Vergebung
Und vergib uns unsere Schuld…– Matthäus 6.12
Das Vaterunser. Was für ein zutiefst lebensnahes Gebet hat uns unser Meister beigebracht. Ich empfinde eine große Kraft in diesem schlichten Gebet und schwinge innerlich jedes Mal mit, wenn ich es bewusst bete. Da ist alles da. Der Wunsch, dass Gottes Name die Ehre zukommt, die ihr gebührt. Die Sehnsucht nach seinem Reich und die Verwirklichung Seiner guten Absicht in unserer Welt. Das Bewusstsein um die Abhängigkeit von Ihm zu leben, das jede Speise, die wir nehmen, mit Ihm in Verbindung setzt. Und – dieses ist zugleich das Geleitwort unserer Freikirche in Deutschland für das Jahr 2019 – die Bitte um die Vergebung der Schuld, gekoppelt mit der Verantwortung selbst Schuld zu vergeben.
In der Tat können Gefühle der Schuld schwer auf unserer Seele wiegen, uns innerlich belasten und das eigene Selbst sehr dunkel erscheinen lassen. Dabei ist es manchmal gar nicht mal so klar, ob wir uns schuldig zu fühlen brauchen, oder ob wir uns Schuld zusprechen oder diese uns zugesprochen wird, wo wir sie nicht zu fühlen bräuchten. Ein Freund von mir fühlte sich vor kurzem schuldig, weil er das Gefühl hatte, jemandem in Not nicht genug geholfen zu haben. Ich, als Anteilnehmende der Geschichte, hatte hingegen viel mehr den Eindruck, dass er der Person sehr geholfen hat, und dass es jetzt an ihr liegt, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Damit hat Schuld auch die Komponente, dass sie subjektiv empfunden wird und einen auch dort innerlich herunterziehen kann, wo man sie eigentlich gar nicht zu empfinden brauchte.
Auf der anderen Seite kann es aber auch vorkommen, dass Schuld nicht empfunden wird, wo sie empfunden werden sollte, da die Einsicht fehlt oder sie nicht zugelassen wird. Aber fest steht, dort wo Schuld empfunden wird, aus welchem Grund auch immer, belastet sie einen innerlich. Und in der Regel bahnt sich der Wunsch an von ihr frei zu werden. Vergebung zu erfahren. Gottes Vergebung, die des anderen, wo es dies braucht, und auch die eigene Vergebung und Selbstannahme. Was Gottes Vergebung dabei einzigartig macht ist, dass sie kein Kleingedrucktes kennt. Wenn Gott uns vergibt, dann hat sich die Sache für ihn erledigt und wir sind frei. Dessen können wir uns deshalb sicher sein, da Christus selbst uns die Bitte um Vergebung beigebracht hat. Dann können wir auch gewiss sein, dass unsere Schuld uns vergeben ist, dort wo wir sie einsehen und bei Gott abgeben.
Die womöglich größere Herausforderung kann darin liegen, dass wir uns selbst vergeben, und dass wir anderen Vergebung schenken. Und doch ist es auch hier wichtig, die Vergebung der Schuld nicht mit einem Freischein zu verwechseln, dass wir uns, anderen und Gott unverantwortlich Wunden zufügen können, oder dass wir dies einfach so hinnehmen, wenn es durch andere an uns geschieht. Die Vergebung der Schuld hat vielmehr mit der Verantwortung zu tun, die wir für unser Handeln übernehmen. Erst dann wird die Vergebung, die wir erfahren und weiterschenken, zu einer heilsamen und verändernden Erfahrung.
Beide – Gnade UND Wahrheit machen die Erfahrung der Vergebung zu einer tiefer gehenden, heilsamen Erfahrung. Die Wahrheit hilft uns das klar zu sehen, was ist, und Verantwortung zu übernehmen. Die Gnade hilft uns die bedingungslose Zuwendung Gottes anzunehmen, und aus ihr heraus Vergebung zu erfahren und zu schenken, anstatt uns und andere zu verneinen.
‚Unser Vater im Himmel, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.‘ Amen, Herr. So sei es.
Simret Mahary, Pastor Adventgemeinde Frankfurt-Zentrum