Vor ein paar Wochen wurde ein Afroamerikaner namens George Floyd bei Tageslicht in den USA ermordet obwohl er um sein Leben flehte und Passanten sich für ihn einsetzen. Nicht durch die Hand eines Verbrechers, sondern durch die Knie einen weißen Polizisten, die knapp neun Minuten auf seinen Hals drückte während er am Boden lag. Drei weitere Polizisten billigten das Geschehen und halfen mit. ‚I can’t breathe‘˜, flehte er. ‚Ich kann nicht atmen‘˜. Seine verzweifelte Bitte wurde nicht erwidert, nicht einmal nach dem er leblos dalag. Zuvor rief er verzweifelt nach seiner Mutter.
Dieses Ereignis trifft mich in Mark und Bein. Wie noch nie zu vor wird mir bewusst: das hätte ich sein können. Und das allein aufgrund der Tatsache, dass ich eine schwarze Hautfarbe trage. Umgekehrt, dass die Knie eines schwarzen Polizisten auf dem Hals eines liegenden weißen Menschen drückt, der um sein Leben bittet, ist schier unvorstellbar. Ich aber hätte George Floyd sein können.
Dieses Ereignis trifft mich hart, und das nicht nur, weil es mir zeigt, dass in den USA schwarzes Leben offenbar weniger zählt als weißes Leben, sondern auch meine Erfahrung des Rassismus in Deutschland hochkommen lässt.
Ich lebe seit 28 Jahren in Deutschland, weiß mich hier zugehörig und betrachte mich zuallererst als Mensch bei allen meinen Begegnungen. Und doch habe ich in den 28 Jahren auch Rassismus erlebt und viele andere schwarze Menschen, die ich kenne, und das aufgrund unserer Hautfarbe. Rassismus durch die Polizei, Alltagsrassismus und struktureller Rassismus sind auch hierzulande tägliche Realitäten. Oft genug bin ich ohne Grund auf der Straße oder im Verkehr durch die Polizei aufgehalten worden, nach meinem Ausweis gefragt und zuweilen durchsucht und einmal sogar ohne Grund in Handschellen abgeführt worden. Seit vielen Jahren erlebe ich latenten Alltagsrassismus, in dem ich immer wieder gefragt werde woher ich denn wirklich komme, auch wenn ich antworte ich sei von hier, höre, dass ich anders sei als andere Afrikaner, und viel mehr. Ebenso habe ich erlebt, dass ich auf dem Wohnungsmarkt besonders kämpfen musste, um eine Wohnung zu finden – wie vor fünf Jahren bei meiner Wohnungssuche in Frankfurt, wo ich bei über 50% meiner schriftlichen Anfragen nicht mal eine Rückmeldung bekam, geschweige denn einen Besichtigungstermin. Dabei spreche ich deutsch und kann mich in der Regel auch gut durchsetzen. Ich kann mir das nicht nur ausmalen, sondern weiß auch um offensichtliche und latente rassistische Diskriminierungen anderer, die es noch schwerer haben – nicht nur schwarze Menschen, sondern auch Menschen mit anderem Migrationshintergrund, mit einem anderen Aussehen und einer anderen Religion, vor allem dann, wenn ihr ‚anderssein‘˜ äußerlich oder anderweitig ‚bemerkbar‘˜ wird. Ja, Rassismus ist leider auch in Deutschland eine bittere Realität. Es reicht aus eine andere Hautfarbe oder einen anderen nichtweißen Hintergrund zu haben, um Diskriminierung zu erfahren. Dabei sind subtile Formen des Rassismus, die wir Menschen in verschiedenen Graden in uns tragen, die wirkungsvollsten und die verletzendsten und nicht nur die offensichtlichen und plumpen Parolen. Dass aber auch diese wirkungsmächtig sein können, zeigt sich daran, dass eine fremdenfeindliche, rechtspopulistische Partei zurzeit die drittstärkste Kraft im deutschen Parlament stellt und beachtliche Sitze in vielen Landesparlamenten besitzt. Für mich persönlich alarmierend und schier beängstigend.
Ich habe mich zu dem Thema Rassismus in Deutschland noch nie öffentlich geäußert. Es fühlt sich für mich auch sehr merkwürdig an das jetzt zu tun: es ist eine äußerst seltsame Erfahrung seine Gleichwertigkeit als Mensch zu behaupten, zu sagen ‚black lives matter‘˜. Und doch bleibt anderen und mir nichts anders übrig, wenn gerade das in Frage gestellt wird – offensichtlich und auf subtile Art. Rassismus ist eine Realität, über die nicht hauptsächlich die sprechen sollten, die sie erleben, sondern vor allem jene, die sie NICHT erleben. Wir brauchen Antirassisten in Deutschland, und nicht nur Nichtrassisten. Und das beginnt damit, dass jeder sich seiner eigenen Bilder und Vorurteile bewusst macht und achtsam und respektvoll mit dem vermeintlich ‚Anderen‘˜ umgeht, der es gar
nicht ist, sondern dazu gemacht wird. Und in dem wir uns nicht nur darüber Gedanken machen, sondern auch konkret fragen, wie es dem einen oder den anderen hier in Deutschland geht. Da werden manche Geschichten zu hören sein, die sich nicht gut anhören werden und dennoch eine Realität sind. Leider. Ich persönlich kann einiges zu dem Thema sagen aufgrund meiner Erfahrung, Geschichte und Expertise aber da ich das zum ersten Mal in dieser Form tue, möchte ich das an dieser Stelle ruhen lassen. Unten weise ich auf ein Paar Ressourcen hin für die, die sich näher mit dem Thema auseinandersetzen wollen.
Als Christ ist mir ein Prophetenwort aus der Bibel in dem Zusammenhang vor kurzem neu begegnet.
Man hat dir mitgeteilt, Mensch, was gut ist. Und was fordert der HERR von dir, als Recht zu üben und Güte zu lieben und bescheiden zu gehen mit deinem Gott? (Micha 6,8)
Während sich die Menschen um religiöse Rituale kümmern, die sie mit mehr oder weniger Lust durchführen (V. 1-7), sagt Gott: das brauche ich nicht. Mich interessiert etwas Anderes.
Recht üben. Güte lieben. Bescheiden seinen Weg mit Gott gehen.
Recht üben – im Alltag, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Schule, in Freundschaften, in der Gesellschaft. In dem Zusammenhang von oben würde ich fragen: ist es recht, wie schwarze Menschen oft behandelt werden oder Menschen mit einem vermeintlich anderen Hintergrund? Da liegt viel brach gesellschaftlich und persönlich und wir haben einen weiten Weg vor uns.
Güte lieben – ist es nicht die Güte Gottes, die uns Raum gibt zu leben und zu wachsen? Wie können wir sie für andere erfahrbar machen?
Bescheiden seinen Weg mit Gott gehen – sind nicht Stolz und Überheblichkeit Zeichen der eigenen, inneren Unsicherheit, die sich dadurch Abhilfe sucht, dass das eigene Selbstbewusstsein auf dem Rücken anderer aufgebaut wird? Bescheidenheit hingegen zieht ihre Sicherheit nicht aus dem Vergleich, sondern aus der Beziehung zu Gott, vor dem wir alle gleich sind.
Für mich sind diese Worte eine Einladung aus einem selbstverliebten und den Status quo aufrechterhalten wollenden Leben und Denken rauszukommen, die Augen aufzumachen und mitten im Leben sich für Gerechtigkeit einzusetzen, Güte zu üben und bescheiden vor Gott seinen Weg zu gehen.
Insofern sind die Worte auch wahr: Black Lives Matter. Schwarzes Leben zählt. Und dafür gilt es die Stimme zu erheben und sich einzusetzen, ganz konkret dort wo jeder von uns ist.
Simret Mahary
18.06.2020
https://www.zdf.de/politik/frontal-21/der-alltaegliche-rassismus-lang-100.html
https://www.arte.tv/de/videos/051638-000-A/i-am-not-your-negro/
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzeit/zdfzeit-streitfall-rassismus-wie-gleich-sind-wir-100.html