So lautet eine Gedichtzeile der deutschen Lyrikerin Hilde Domin, die mich vor kurzem von einem Freund erreichte.
Die Worte sprachen mich sofort an, da ich in ihnen eine in sprachlicher Kürze und Schönheit verdichtete Lebensbesprechung, Paradoxie und Lebenserfahrung wiederfand.
Hast du schon mal die Erfahrung gemacht, dass du beim Treppenabsteigen die letzte Treppe übersehen hast, meintest auf festen Boden treten zu können und der Fuß und der ganze Körper für einen Augenblick hilflos in der Luft hängen blieben bis sie ungelenk den festen Boden erreichten? Ein unschönes Gefühl, nicht wahr?
In dem Gedicht setzt eine Person ihren Fuß in die Luft, also in ein Element, das nicht tragen kann und erlebt, dass sie doch trägt! Wie ist das möglich?
Für mich steckt in dieser Zeile der Mut einer Person, die bereit ist einen Schritt zu gehen, ohne zu wissen was kommt. In die Luft hinein. In die Ungewissheit hinein. Es ist nicht ausgemacht, ob der Schritt trägt. Und doch setzt sie ihn.
Es ist nicht klar, ob sie das schafft, was sie sich vorgenommen hat an einer neuen Aufgabe. Es ist nicht klar wie der andere reagiert auf den sie zugeht. Ob ihr freundliches Wort erwidert, ihr Gesprächsangebot angenommen, ihre Entschuldigung akzeptiert, ihre freundliche Geste erwidert wird. Und doch setzt sie den Fuß in die Luft.
ICH setzte den Fuß in die Luft.
Nicht der andere, nicht die Umstände, nicht die Gewissheit ob der Schritt trägt.
Ist das überhaupt vernünftig? Kann Luft tragen? Heißt es nicht wieder fallen, erneut enttäuscht werden? Wie oft habe ich den Fuß in die Luft gesetzt und sie trug NICHT? Warum soll ich das wieder machen?
Die Antwort: die Alternative bedeutet Stillstand, Rückzug und schlimmstenfalls Resignation und Verbitterung. Es gibt eben keine andere Möglichkeit zum Leben, zu sich und zum anderen zu finden, als darüber den Fuß in die Luft zu setzen. Kein Wachstum ohne über seinen Schatten zu springen. Keine Begegnung ohne Verwundbarkeit. Keine Veränderung ohne etwas Neues zu wagen. Keine neue Erfahrung ohne Mut.
Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.
Hier spricht jemand, der die die Erfahrung gemacht hat, dass die Luft DOCH trug. Eine einzigartige Erfahrung, die nur der nachempfindet, der sie gemacht hat.
Eine Erfahrung, auf die es sich lohnt zurückzublicken wo sie geschieht, und auf die es sich lohnt immer wieder aufs Neue einzulassen.
Simret Mahary
14.05.2020
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An diesem Sabbat haben wir erneut die Möglichkeit von Zuhause aus Gottesdienst im Hope TV mitzufeiern, diesmal mit einer Predigt vom Pastor Reinhard Schwab mit dem Titel ‚Leiden das sich lohnt‘˜ und einer Gesprächsrunde zu dem Thema ‚Verlust und Trauer‘˜.
Wie immer ab 09:30Uhr im Hop TV mitzuerleben: